Als Psychologin habe ich natürlich ein ganz besonderes Interesse am Thema der Gefühlswelt. Und gerade unsere Jüngsten machen ihre Gefühle ohne viel drum rum gerne sehr deutlich. Vielleicht haben Sie sich als Eltern folgende Fragen gestellt: Wie sollte man mit diesen ganzen heftigen Gefühlen vor allem bei Kleinkindern oder auch bei Pubertierenden umgehen? Verziehe ich nicht mein Kind, wenn ich seine Gefühle akzeptiere? Und wozu überhaupt soll das alles gut sein? Wenn ja, dann hilft Ihnen hoffe ich dieser Beitrag ein wenig weiter.
Neugeborene kennen sich selbst noch nicht
Frisch Neugeborene begreifen sich (bis hin zum Verständnis eines eigenen Ichs) nicht als eigenständis Wesen! Vielmehr sehen sie sich als Eins mit ihrer Bezugsperson. Es ist die Aufgabe der Bezugsperson, dem Kind erst einmal klar zu machen, was überhaupt los ist, wenn es sich nicht wohlfühlt. Denn unerfüllte Bedürfnisse wie Hunger, Einsamkeit usw. kennt das kleine Menschlein aus dem Mutterleib gar nicht.
Gefühle benennen
Diesen Prozess begleiten wir beim Kind, indem wir ihm Worte für die Gefühle geben, die wir durch die Umstände oder durch körperliche Signale (z.B. geballte Fäuste, rote Haut) vermuten. Damit helfen wir dem Kind, sich später selbst zu verstehen, und das ist wesentlich, um in den ersten 5 Lebensjahren einen gesunden Umgang mit Gefühlen zu erlernen.
Das Gehirn muss durch Versprachlichung und dadurch, dass ein Elternteil die Gefühle spiegelt (also dem Kind vermittelt, was bei ihm los ist), erst einmal lernen, was Gefühle sind, welche es gibt und was dann hilfreiche Handlungsstrategien im Umgang mit ihnen sind. Da haben Eltern eine ganz schön große Aufgabe.
Hinzu kommt, dass viele von uns Erwachsenen selbst nicht sehr sicher im Umgang mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Wut, Trauer sind. Vielen fällt es tatsächlich schwer, zu erkennen, welche Gefühle sie in einem Moment empfinden, oder diese richtig zu benennen. Das mag mitunter daran liegen, dass in früheren Generationen der Umgang mit Gefühlen ganz anders gehandhabt wurde.
Es ist nicht immer »alles gut«
Sprüche wie »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« oder »Alles gut, tut gar nicht mehr weh« waren in früheren Zeiten ein gängiger Weg zum Umgang mit Gefühlen. Und die Folgen davon ziehen sich noch bis heute durch.
Aber was ist denn so schlimm an diesen Sätzen?, fragen Sie sich vielleicht. Wie oben beschrieben ist es für die Gehirnentwicklung im Kindsalter erstmal wichtig zu begreifen, was Gefühle überhaupt sind, wie sie sich im Körper zeigen und anschließend ein angemessenes Verhalten damit zu erlernen. Wenn aber während des Gefühlserlebnisses dem Kind erst vermittelt wird, dass »alles gut« ist, obwohl das Kind z.B. gerade Schmerz erlebt, dann gibt es eine Kluft zwischen dem was das Kind tatsächlich fühlt/wahrnimmt und der Aussage der Bezugsperson. Das ist sehr verwirrend.
Wie soll man da lernen, Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und letztlich auch Empathie für zu haben? Da liegt der springende Punkt eben. Diese Art von wohlgemeinten Sprüchen, um das Kind nicht zu »verweichlichen« oder »stark fürs Leben zu machen« bewirken somit genau das Gegenteil: fehlende Selbsteinschätzung und keine Basis um eine gesunde Weise im Umgang mit Emotionen zu entwickeln.
Auf die richtige Hilfe kommt es an
Auch bei Pubertierenden mit ihrem ganzen neurophysiologischen Wirr-Warr kann ein solcher Spiegel von außen durch die Eltern helfen zu verstehen, was in ihnen los ist. So können sie dem Ganzen Worte geben, sich sortieren und letztlich auf eigene Lösungen kommen. Ja, es hilft Kindern nicht, dass wir ihnen die Lösung ihrer Probleme vorgeben. Wir müssen auch nicht für jedes Problem eine Lösung haben, sondern ihnen stattdessen zuhören und wiedergeben. was bei uns aus ihrer Sicht und Gefühlswelt angekommen ist.
Hier gilt jedoch Vorsicht geboten, dass die eigene Empathie mit dem Kind nicht in ein Mitleid überschwappt und dadurch geneigt ist, alle unangenehmen Gefühle des Kindes beenden zu wollen, damit es diesen Weltschmerz nicht ertragen muss oder der Elternteil nicht selbst zu stark die Gefühlsregungen des Kindes spürt. Denn vermutete Spiegelneuronen tun genau dies: Wenn wir uns mit jemandem emotional verbinden und empathisch sind, dann spüren wir das, was er spürt, auch wenn es nicht unser eigenes Gefühl ist. Kinder müssen aber eine Bandbreite an Gefühlen in einer sicheren Umgebung erleben dürfen, um ihre volle Gefühlswelt und somit sich selbst begreifen zu können.
Na toll, und was soll ich jetzt tun?
Wie würde es also genau aussehen, wenn wir unser Kind emotional begleiten? Natürlich passen wir unsere Sprachwahl an das Alter des Kindes an. Bei Pubertierenden oder Jugendlichen brauchen wir beispielsweise weniger beschreibende Details, um ihnen klar zu machen, welche körperlichen Symptome ein bestimmtes Gefühl in ihnen hervorrufen könnte.
Bei jüngeren Kindern hingegen, die emotional sind, aber gerade nicht in einem Wutanfall stecken, können wir beschreiben, was wir körperlich beobachten und welches Gefühl wir dahinter vermuten. Wichtig ist gerade bei älteren Kindern, dies nur als eine Vermutung und nicht als Fakt auszusprechen. Bei jungen Kindern, die einen Wutanfall haben, ist es manchmal besser, nichts zu sagen. Zu viele Worte können dann verwirren oder die Situation noch schlimmer machen. Stattdessen können wir stillschweigend anwesend sein und, wenn das Kind es braucht, körperliche Nähe anbieten. Wenn das Kleinkind sich beruhigt hat, können wir ihm mitteilen, was wir wahrgenommen haben.
Fazit: Also verweichlichen wir die Kinder mit diesem Gefühlskram?
Um nochmal zum Ausgangspunkt der Frage zu kommen, ob man Kinder mit dem Akzeptieren ihrer Gefühle verwöhnt oder schwach macht, ist das Fazit ganz klar: Nein! Sie verziehen Ihr Kind nicht, wenn Sie auf seine Gefühle eingehen, sondern stärken eine enorm wichtige Kompetenz, um einen Grundstein für Empathie, gesunden Umgang mit Gefühlen, Konfliktbewältigung und Problemlösungsfähigkeiten zu legen.